Meine Lyrikecke im Traumschloss
   
  Meine Lyrikecke im Traumschloss
  Kurzgeschichten III
 


Kurzgeschichten III

  • In der Lagunenstadt
 



In der Lagunenstadt I

Ich war lange bevor ich die Stadt persönlich in Augenschein nehmen durfte in sie verliebt; bevor ich meine Füße vom schwankenden Boden des Vaporettos aufs „Festland“ setzten konnte.
Dabei war die Anreise ein einziges Fiasko gewesen. Nichts klappte wie erhofft. Staus, nervige Autofahrer und am Ende ließ mein Mann den Tankdeckel unseres Wagens in Riva an der Zapfsäule zurück.

Dank unseres ausgezeichneten Kunst-Reiseführers wussten wir – und waren darüber sehr froh - dass in Mestre massenhaft bewachte Parkplätze für Venedigreisende vorhanden sind. Wir fanden nicht einen, zumindest keinen in den wir noch hinein gepasst hätten. Erst nach diversen Fast-Zusammenstößen standen wir wie von Geisterhand geführt, vor einem nicht sehr einladenden Tor einer verlassenen Firma. Kein Schild hatte darauf hingewiesen, wir wussten nicht, ob es Parkplätze für Touristen waren oder „letzte Ruhestätten“ für vergessene Autos. Wir fuhren zögerlich ein, drehten Runden um Runden, ergatterten ein einziges Plätzchen, in das ich meinen Mann - mitsamt unserem Capri - mittels Zurufen, dazu heftig gestikulierend, Millimeter um Millimeter hineinquetschte. Fast alle abgestellten Fahrzeuge waren mit verstaubten Planen zugedeckt, die Atmosphäre unwirklich, unheimlich. Wir hofften, dass in einem solch „toten Parkhaus“ einstweilen keiner in den Tank pinkeln und vor allem, dass wenn wir den Wagen abholten, der Zugang nicht verbarrikadiert sein würde.

Nicht weit entfernt befand sich die Anlegestelle für Vaporettos, die „Linienbusse“ der Wasserstraßen. Wir hatten über ein Reisebüro sieben Übernachtungen mit Frühstück im Hotel Rialto gebucht. Aber bevor wir dorthin kamen, tuckerten wir mit unserem Gepäck auf dem Vaporetto dahin. Mein Herz wurde weit, meine Augen weideten sich, während wir uns Venedig näherten.

„Meine Traumstadt“, endlich war ich hier. Es war keine Hochzeitsreise, es war kein langer Urlaub, es war eher „ein Ruf“ dem ich folgte. Ich konnte ich mich nicht satt sehen an den alten Palästen mit ihren morbiden Häuserfronten; alles erinnerte an glanzvolle Zeiten. Das Wasser leckte spielerisch an Mauerwerken, züngelte sich da und dort hoch, wenn es ein schnelles Motorboot in Wallung brachte. 

Venedig hatte mich ergriffen, es saugte sich an mir fest. Ich ließ meine Gedanken treiben, schenkte jedem kleinsten Detail mein Augenmerk und war unendlich glücklich. Ich war am Ziel.

© Helga Boban ~ Schlossfee 12.07.2008   
 
 
 

 

 
In der Lagunenstadt II

100 Meter südlich von der Rialto-Brücke betraten wir über einen Anlegesteg die ehrwürdige Lagunenstadt. Ich hätte zu gerne den Boden geküsst, doch mein Mann hielt das für keine sehr gute Idee. Spielverderber!

Das Hotel Rialto mit seiner weinroten Außenfassade, den niedlichen kleinen Balkonen und tatsächlich direkt neben der berühmten Brücke gelegen, erweckte meine schlummernde venezianische Seele. Die Halle war edel, gediegen, weitläufig und mit einem herrlichen Fußboden aus Marmor ausgestattet. Fauteuils in schokofarbenem Leder unterbrachen das lichte Ambiente. Wir bezogen mit Unterstützung eines Pagen unser Zimmer im 1. Stock.

Maledetto! Es war wie ein Absturz in eine düstere Welt: Hinter einer großartigen, aufwändig verarbeiteten, dunklen Holztüre tat sich eine Rumpelkammer auf. Zumindest beim ersten flüchtigen Drüberschauen.
Es war aber keine Rumpelkammer, das Zimmer war lediglich total überfrachtet - und trotz einer unglaublichen Raumhöhe - erschlug mich die offensichtlich hier versehentlich aufgebaute Möbel-Vernissage. Nahezu jeder Quadratzentimeter des recht großen quadratischen Raumes war mit alten Schränken, Kommoden, Kofferhockern, Sesseln, Stühlen, Tischchen und einem barocken Bett das in der Mitte prangte, übersät. Den orientalischen Teppich der unter allem lag, konnte man kaum wahrnehmen. Ein neugieriger Blick ins angrenzende Bad ließ mich dagegen wieder Entzückensrufe ausstoßen. Weißer Marmor wohin man sah. Fußboden, Wände, ja selbst die Badewanne glänzten prachtvoll vor sich hin.

Der junge, blendend aussehende, pomadisierte, uns beigestellte Page öffnete die hohen Fenster die bis zum knarrenden Parkettboden reichten, spreizte die hölzernen Fenstertüren auseinander. Ich trat hinaus auf den kleinen Balkon der mit einem zierlichen Eisengitter begrenzt war. Vor meinen Füßen der Canale Grande; darauf Gondeln, Wassertaxis, Vaporettos, in beiden Richtungen sich munter oder träge bewegend. Das Wasser glitzerte in der bereits sinkenden Sonne. Unter meinem Balkon tummelten sich Touristen aus aller Welt. Sie drängelten, sie bummelten, sie standen staunend da, fotografierten und benahmen sich, wie sich eben Reisende aus aller Herren Länder benehmen. Rechts vom Hotel die würdige Rialto-Brücke über die sich Menschenmassen zwängten. Dazwischen drückten sich kleine Verkaufsbuden an die Brückenmauern, sie klebten wie Schwalbennester an den Wänden. Ein stimmiges Bild.
  
© Helga Boban ~ Schlossfee 12.07.2008  
 



 
 
In der Lagunenstadt III

Gegen 20 Uhr leerte sich Venedig, als hätte es seinen Mageninhalt mit den tausenden von Touristen verdaut. Stille kehrte ein. Auf der Insel verblieben die zahlenden Übernachtungsgäste, die wenigen Bewohner und die Angestellten der noch geöffneten Cafés, Restaurants und Bars.

Wir verließen untergehakt das Hotel, bummelten über leere Brücken, schlenderten durch träumerische, enge Gässchen, betrachteten dabei die Auslagen der Schaufenster, die hell erleuchtet das Teuerste vom Teuren anpriesen. Nichts für unsere Geldbeutel.
Wenige Menschen waren unterwegs, Venedig gehörte nahezu uns alleine. Vertraute Küchengerüche drangen in unsere Nasen, das Klappern von Tellern und Töpfen hieß uns abendlich willkommen. Die Sonne verbarg sich hinter Kirchen, alten Häusern und nur auf größeren Plätzen schien sie uns nochmals freundlich ins Gesicht. Aber sie war bereits auf dem Weg in die südliche Nacht. Verzaubert genoss ich das Spiel von Licht und Schatten zwischen den Fronten der Häuser. Ein glutroter Ball tauchte den Canale in glitzernde Farben, nur ab und an eine Gondel, die weiche Fahrspuren ins Wasser malte.

Wir setzten uns in ein Straßencafé, tranken den erschwinglichen Vino Rosso di Tavola und benahmen uns, als hätten wir den kostbarsten Rebensaft, kredenzt in einem edlen Pokal, in Händen. Waren wir noch verliebt? Wenn wir es nicht mehr waren, hier tauchte das Gefühl der Zugehörigkeit und der einzigen wahren Liebe wieder auf. Je mehr unsere Nasen sich dem Weinglasboden näherten, umso sicherer wurden wir. Venedig und die Liebe – sie gehören eben doch zusammen.

Am Morgen erwachten wir sehr früh, voller Tatendrang und Neugier auf den ersten Erkundungstag. „Präpariert“ wie wir waren, wussten wir genau, welche Wege wir nehmen mussten, doch letztendlich ließen auch wir uns treiben. Ohne Frühstück begaben wir uns auf die erste Tour. Venedig schlief noch. Gegen 7 Uhr öffneten sich wie von einem unhörbaren Signal alarmiert Haustüren. Männer mit Schrubbern und Wassereimern bewaffnet, putzten mit schier unglaublichem Eifer die Pflastersteine, die asphaltierten Gehwege. In kurzer Zeit sah alles aus wie geleckt.

Wir nahmen in einem gerade sich öffnenden Straßencafè Platz und tranken mit Genuss unseren ersten Venedig-Cappuccino; betrachteten die jetzt laufend anlegenden Vaporettos, aus deren Bauch die Insel-Angestellten strömten. Wir sahen den wunderschönen Italienerinnen nach, die auf hochhackigen Schuhen stolz und forschen Schrittes an uns vorbei eilten. Elegante Kleidung, dezenter Goldschmuck rundeten das Bild der „fast perfekten“ Frau ab. Ich begann mich in meiner typisch deutschen Touristen-Darstellung unwohl zu fühlen: Jeans, Sommerpullover, Sandalen, schmucklos, ungeschminkt. Ich nahm mir fest vor, so nicht mehr vor die Hoteltüre zu gehen.
Die Sonne wärmte allmählich unsere Glieder und wir begannen mit der „Eroberung Venedigs“. Ich will keine kunsthistorische Abhandlung schreiben, wer kennt nicht die Schönheiten der Lagunenstadt? Markuskirche, Dogenpalast, Seufzerbrücke, Admiralität, Santa Maria dell Croce und… und… und…

Es gab keine Eile, wir flanierten über wunderschöne Plätze mit herrlichen Brunnen, besichtigten Kirchen und Museen, bestaunten das immer hektisch werdendere Aufkommen von Touristenmassen, die tagsüber „angespült“ wurden. Viele kamen über den Canale Grande angereist wie wir, viele überm Landweg. Fotoapparate machten klick, klick und in allen Sprachen liefen Schirme (mit Reiseführern dran), im Schlepptau Menschentrauben, eiligen Fußes die markantesten Piazzas, Kirchen, Brücken, ab. Sie stürmten Souvenirshops, standen posend für ihre Mitreisenden parat und ich fürchte, der eine oder andere wurde noch durch ein kostenloses „Taubensouvenir“ frei Luft beschert.

© Helga Boban ~ Schlossfee 12.07.2008   


 

 
 
 
In der Lagunenstadt IV

Das Wetter war einfach prächtig. Durchgehend italienische Sonne vom Feinsten. Dabei nicht zu heiß und keinesfalls stickig. Auch der Canale Grande stank nicht, wie man es uns zuvor überall als Warnung mit auf den Weg gegeben hatte. Aber wir hatten den Wonnemonat Mai und es brüteten noch keine Sommertage über der Stadt. Die Luft war angenehm, wenn auch mitunter von Moder durchsetzt – aber genau das war es was ich inhalieren wollte.

Die Kirchen waren kühl, morgens befand sich kaum ein Besucher in den heiligen Hallen. Sie gehörten uns und ich schritt ehrfürchtig auf alten Steinfliesen, die meist schon recht „christlich“ oder touristisch abgetreten waren. In einer kleinen Kirche, an einer winzigen, aber sehr schönen Piazza gelegen, ziemlich am Rande der Lagunenstadt, fanden wir Petris Stuhl, zumindest behauptete dies unser Kunstführer. Petris Stuhl war ein „steinerner Thron“ und ich fand, dass Petrus einst Weicheres verdient hätte.

Die schaukelnden, vertäuten Gondeln besichtigten wir aus respektvollem Abstand, denn Gondoliere sind wie „Zeugen Jehovas“, sie reden dich in Grund und Boden. Natürlich wäre ich gerne in den Abendstunden in einer gesessen, zusammen mit meinem Mann, aber der Verstand und die Finanzen sprachen eindeutig dagegen. Vor allem Letzteres, denn Tag für Tag wurden unsere Geldbörsen dünner. Doch das störte uns nicht. Wo will man sein Geld ausgeben, wenn nicht hier?

An einem schönen lauen Mainachmittag, ich glaube, es war der Donnerstag, ließen wir uns gegen jegliche Vernunft von den Orchestern, die zu jedem Café auf dem Markusplatz gehörten, anlocken. Erst standen wir nur da, vernahmen aus allen Richtungen verschiedenste Musikstücke, dann fanden wir vor einem der Cafés Platz. Hunderte von Tischchen, Stühlen und Touristen taten dasselbe wie wir. Wir bestellten ein Bier, ein Wasser, rauchten genüsslich. Noch ein Bier, noch ein Wasser. Wir beobachteten das Treiben, ließen uns von Musik und Sonne verwöhnen. Venedig wir saßen mitten in deinem Herzen und durften deinen Puls fühlen. 

Getränkekarten mit Preisen lagen nicht aus, ansonsten wären vermutlich die meisten Stühle unbesetzt geblieben. Man ahnt wohin meine Gedanken gehen? Erhöhten Herzschlag und Puls gibt’s nur zu Exklusivpreisen.

5 Zigarettenlängen später riefen wir dem Ober fröhlich zu: „Il conto per favor“. Als wir die Rechnung in Händen hielten, wussten wir warum man in Italien gleich nach dem Konto fragt und nicht nur lapidar „bezahlen bitte“, ruft. Il Conto lautete über 48 DM (nach schnellem, schluckbeschwerdenreichem Umrechnen).

Wir erholten uns von dem Schrecken und beschlossen sitzen zu bleiben. Um den Preis gab es sicherlich eine „Verlängerung“ inklusive. Doch nun interessierten uns weder der Markusplatz, noch der erhabene Campanile, wir amüsierten uns verschwenderisch beim Betrachten der nächsten zahlenden Gäste. Eine Kinnlade nach der anderen fiel herunter. Panikartige Geldbeutelsuchen wurden eingeleitet, Schweißperlen traten auf Touristenstirne – alles in allem ein wahres Spectaculum. Herrlich diese „Commedia del Arte“. Wir fanden auf einmal, dass 48 DM den Preis für dieses Schauspiel rechtfertigten, Bier und Wasser dienten eigentlich nur als nettes, erfrischendes Beiwerk.

Der Camarere ließ uns unbehelligt sitzen, vermutlich waren ihm so scheinheilige Spötter längst über die Jahre ins dunkle Auge gestochen. Vielleicht amüsierte er sich über uns, falls er dazu überhaupt Zeit fand, denn immer mehr Menschen fielen über die von fluchtartigen Gästen verlassenen Tische und Stühle her.

© Helga Boban ~ Schlossfee 12.07.2008   
 



 
 
In der Lagunenstadt V

Ich besuchte Venedig nicht, ich atmete es, ich inhalierte es. Ich zog es in mich hinein und ließ es in mir versacken.

Im Hafen Venedigs ankerten träge schaukelnde Riesenpötte: Ozeandampfer, Luxusyachten, Kreuzfahrtschiffe und wir träumten uns manchmal ein Stück weit mit. Aber eigentlich wollte ich das nicht, ich wollte die Gegenwart Venedigs mit seiner Vergangenheit erleben.

Jeder Tag war ein Geschenk, jeder Tag eine neue Blüte, die es zu bewundern galt. Die Abende verbrachten wir stets im Freien. Direkt neben unserem Hotel befand sich ein Mini-Lokal mit Außenrestauration, wenige Meter entfernt vom Canale Grande. Der Kellner kannte uns bereits bestens, machte seine allabendlichen Scherze und vergaß nie „La Bella Bionda“ zu bewundern, was mir sehr schmeichelte und ihm massenhaft Trinkgeld einbrachte. Da er seine Flirtversuche stets sehr dezent anbrachte, störte sich nicht einmal mein Mann daran. Die schmelzenden Blicke bekam mein Mann nicht mit. Tolle Masche, Italiener eben, Macho lässt grüßen.

Ich muss ehrlicherweise anfügen, wir schrieben das Jahr 1987!

Es kam der Morgen an dem wir auschecken mussten. Wir hatten noch eine herrliche italienische Liebesnacht verbracht und nahmen Abschied von unserem wunderbaren Hotelzimmer, das uns trotz des Großaufgebots an Möbeln ans Herz gewachsen war. Ein letztes Mal auf dem Balkon stehen, ein letzter Blick zur Brücke, alles ein letztes Mal. Es tat weh.

Deprimiert ging ich zur Anlegestelle, mein Mann frohen Mutes, denn er hatte das Talent sich bei der Ankunft genauso zu freuen wie bei der Heimreise. Wir bestiegen das nächste Vaporetto. Mit Tränen in den Augen und einem bleischweren Herzen glitt ich nochmals an den Palästen vorbei, schaute in Gassen hinein, suchte mit süchtigen Augen nach Plätzen und Wegen, die wir gegangen waren. Doch man sah nicht weit ins Innere, aber der Zauber der Stadt, die Magie der Vergangenheit fuhr mit mir mit. Mein Mann sah peinlich berührt zur Seite, als mir die Tränen herunter liefen. Erst später nahm er mich zum Trösten in die Arme und meinte: „Wir kommen doch wieder hierher.“

Wir kamen nie mehr nach Venedig zurück, es gab immer Neues zu entdecken. Italien ist und war „unser bevorzugtes, geliebtes Reiseland“, aber weder die Schönheiten des Nordens noch die des Südens, vermochten jemals die Tage in Venedig zu „toppen“.

 
Schlussbemerkung:

Keiner hatte in den Benzintank gepinkelt, keiner hielt die Hand auf beim Verlassen des „Parkhauses“. Muss doch ein Geisterhaus gewesen sein.  

© Helga Boban ~ Schlossfee 12.07.2008 

  



 
 
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